Reha Verlauf nach Brustmuskel - Abriss (Case Study Lucas Hügerich)

Sabrina
12.03.2023 16:19 Kommentar(e)

Handlungsempfehlungen

- Symptome sofort nach der Verletzung: akuter ziehender Schmerz während des Abrisses, danach Schmerzen beim Armheben, zunächst minimale Einblutung (Ekchymose) - mit den Tagen dann massive Einblutungen vor allem im Biceps-Bereich 
​- Ultraschall, Verletzungshergang und Symptomatik sind oft ausreichend zur Diagnosestellung (kein MRT notwendig)
​- Operation möglichst innerhalb von 10 Tagen nach der Verletzung (nach Dr. Ritsch)
​- Operation durch Spezialisten (z.B. Dr. med. Ritsch Sportortho Rosenheim / Prof. Dr. med. Greiner Sportopaedicum Regensburg / Prof. Dr. med. univ. Tauber in München)
​- konsequentes Tragen der Schlinge (für 6 Wochen) und konsequentes Behandeln nach Nachbehandlungsschema

Das Nachbehandlungsschema

bis zur 6. Woche nach der OP: 

- konsequentes Tragen der Schlinge (Immobilisation)

- keinerlei Schultermobilisation, nur Ellenbogen und Hand dürfen mobilisiert werden mit Fixation der Schulter in Innenrotation



7. - 9. Woche nach der OP:

- Abnahme der Schlinge

- zunehmend passive und aktive Beweglichkeit erarbeiten

- noch kein Training gegen Widerstand

- noch keine Gewichtsbelastung am Arm

- noch keine Außenrotation



ab 9. Woche nach der OP:

- zunehmend leichte Außenrotation, jedoch keine forcierte Außenrotation und Abduktion

ab 12. Woche nach der OP:

- beginn von leichtem Krafttraining für den Arm der verletzten Seite. Muskel nach und nach immer mehr in die Länge bringen. Durch diverse Zugübungen wie Latzug beidarmig & einarmig. Erhöhte Liegestützen bzw. Liegestützen an der Wand. Leichte Überzüge mit der Kurzhantel. Nun auch forcierte Außenrotation und Abduktion. Langsam steigern!

Nachbehandlung: Abnahme der Schlinge und Beginn der Übungen

Nach nun sechs Wochen Immobilisation durfte Lucas die Schlinge ab dem 09.01.2024 endlich wieder abnehmen. Nachts ließ er sie zunächst noch an, um unwillkürlichen Bewegungen vorzubeugen. Wir starteten dann auch zügig mit den ersten passiven und aktiven Bewegungen. Eine Außenrotation war uns weiterhin untersagt, so konzentrierten wir uns auf Einzelebenen - die Hebung des Armes nach vorne über einen kurzen oder langen Hebel, die leichte Abspreizung (auch hier war noch Vorsicht geboten) sowie die Rotation des Armes bis zur Nullstellung. Muskulär war nun auffällig, dass der M. Deltoideus deutlich abgebaut hatte. Diesen wollten wir so bald wie möglich reaktivieren, sodass wir auch mit sehr sanften isometrischen Übungen in verschiedenen Positionen anfingen (ca. 20% der Kraft). 
muskulärer Vergleich links / rechts

Nachbehandlung: die ersten 6 Wochen danach

Sechs Wochen Immobilisation liegen inzwischen hinter uns. In dieser Zeit nahm Lucas die Schlinge nur zum Duschen ab oder für Übungen am Ellenbogen. Den durfte er in dieser Zeit strecken und beugen, sodass er bald wieder Curls mit unfassbaren 1,25 kg machen konnte! 
Alle anderen Bewegungen waren uns völlig untersagt. Grundsätzlich ist es nach jeder Schulter Operation sinnvoll, trotzdem die Hand und den Ellenbogen zu beüben im erlaubten Ausmaß. Außerdem kann und soll die Hand für alltägliche Aufgaben trotzdem verwendet werden, um weiter in Bewegung zu bleiben. Somit war Lucas in dieser Zeit tatsächlich gar nicht so eingeschränkt, wie man vermuten würde. Alltägliche Aufgaben meisterte er wunderbar und benötigte nur sehr selten Hilfe. Auch die Narbe entwickelte sich gut und das Fadenziehen lief unproblematisch. In dieser Zeit lag der Fokus logischerweise eher auf dem Beintraining. Er trainierte außerdem fleißig den linken, nicht operierten, Arm. Auch das sollte man definitiv weiterhin tun, denn hierdurch wird über neuronale Verknüpfungen einfach ausgedrückt auch der operierte Arm "trainiert". 
Narbe nach circa 6 Wochen
Bitte rechts fixen :)

Die erste Woche nach der Operation

Lucas musste zwei Nächte in Rosenheim bleiben, sodass er am Donnerstag (30.11.2023) früh wieder entlassen wurde - mit einer neuen Armschlinge sowie Schmerztabletten für die nächste Zeit. Im Vergleich zu vor der Operation stieg das Schmerzniveau nun an, sodass er vor allem in den ersten drei Nächten Schmerzen hatte, eher jedoch im Bereich des Ellenbogens und Unterarms. Diese besserten sich mit den Tagen und wanderten dann eher in den Brust- und Bicepsbereich. Über den Tag hielten sich die Schmerzen in Grenzen, sodass Lucas vergleichsweise wenig Schmerztabletten nehmen musste.

Die Aufgabe der ersten Woche war es nun, mit den Einschränkungen des Alltags zurecht zu kommen. Die Schlinge musste Lucas in den nächsten sechs Wochen dauerhaft tragen, passives Bewegen war uns in dieser Zeit völlig untersagt (siehe Nachbehandlungsschema). Manuelle Lymphdrainage führten wir nahezu jeden Tag durch. Die Schwellung hielt sich jedoch in Grenzen und besserte sich in den nächsten Tagen deutlich.

Die Operation

Die Operation war für den 28.11.2023 um 15:00 Uhr geplant. Wir reisten am selben Tag früh an und Lucas wurde gegen Mittag für die OP vorbereitet, die unter Vollnarkose erfolgen würde. Nach der Operation verkündete Dr. Ritsch, dass die Verletzung komplizierter war als gedacht. Lucas hatte sich nicht die Sehne des Brustmuskels gerissen sondern den Muskel in sich. Dennoch verlief die Operation problemlos und alles wurde wieder zusammengenäht, getackert, verankert. Wir bekamen jedoch die Anweisung, aufgrund des komplizierteren Risses, in der Nachbehandlung noch konsequenter zu sein. 

Die Vollnarkose bzw. die Schmerzmittel danach vertrug Lucas allerdings nicht so gut, sodass die Nacht nach der Operation sowie der Morgen danach sehr unangenehm waren. Sein Körper reagierte mit massiven Schweißausbrüchen, erhöhter Temperatur sowie starker Übelkeit. Im Verlauf des Folgetages normalisierte sich dieser Zustand zügig wieder.

Bitte rechts fixen :)
nach der Operation

Die Zeit zwischen der Verletzung und der Operation

Die Schmerzen reduzierten sich in den folgenden Tagen weiter und nahmen nur bei Bewegungen des Armes zu (Abduktion, Flexion, Außenrotation). Die Schwellung und Einblutung wurde dafür deutlich kräftiger, sodass bald der Oberarm in allen möglichen Farben erschien. Auch die Brust nahm nun langsam einen gelblichen Farbverlauf an. Die Schlinge trug Lucas in den nächsten Tagen konsequent.

Da in der Notaufnahme keine weitere Diagnostik erfolgt war (weder MRT noch Ultraschall) hieß es, wir sollten uns um ein MRT kümmern. Gesagt, getan. Vom Hausarzt erhielt Lucas eine Überweisung zum MRT. Den frühsten Termin dafür allerdings erst in drei Wochen. Uns war bewusst, dass bei einer solchen Verletzung schnell gehandelt und operiert werden sollte, da sich der Muskel sonst zurückziehen und abkapseln würde und massive Vernarbungen entstehen könnten. Ein MRT in drei Wochen war uns definitiv zu lange Wartezeit. Also begannen wir uns bei Kolleginnen und Kollegen sowie befreundeten AthletInnen Rat einzuholen. Ein Name fiel dabei besonders häufig: Dr. Ritsch in Rosenheim, der regelmäßig Biceps- sowie Brustmuskelabrisse operierte.

In der Gemeinschaftspraxis Sportortho Rosenheim meldete sich Lucas dann montagfrüh (27.11.2023) - 4 Tage nach der Verletzung. Nach der Sichtung der Bilder meldete sich die Praxis zeitnah zurück. Die Operation sollte gleich morgen - am 28.11.2023 - erfolgen, die Sache sei eindeutig. Also ging es gleich am Montag einmal nach Rosenheim zum Vorgespräch und zu den finalen Untersuchungen. Dabei inspizierte Dr. Ritsch zunächst die Bewegungen und den Muskel allgemein. Im Ultraschall war deutlich zu sehen: ein kompletter Abriss des Muskels. Dr. Ritsch war sehr froh darüber, dass Lucas bereits so kurz nach der Verletzung bei ihm erschien, das sollte die Operation deutlich vereinfachen.

25.11.2023 - Schwellung sackt in den Biceps
27.11.2023 - Einblutungen nun deutlich stärker
27.11.2023 - Vergleich linke & rechte vordere Achselfalte
27.11.2023 - deutlich sichtbare Ruptur

Die Verletzung

Es sollte die letzte schwere Trainingseinheit vor seinem ersten Wettkampf im Weightes Calisthenics sein, der am 02.12.2023 geplant war. Auf dem Plan standen an diesem Donnerstagabend (23.11.2023) Muscle Ups und schwere Dips. Lucas steigerte sich bei den Dips von 75 kg auf 90 kg, die er an diesem Tag zum ersten Mal bewegen wollte. Und dann geschah es, völlig ohne Vorwarnung. Noch in der Abwärtsbewegung, kurz vor dem Umkehrpunkt, riss Lucas' rechter Brustmuskel. Wie wir später herausfinden sollten, nicht im Bereich der Sehne, sondern tatsächlich im Muskel selbst die Muskelfasern. 

Er verstand sofort, was passiert war. Noch nie hatte sich Lucas zuvor im Krafttraining verletzt, nicht mal ein Muskelfaserriss oder eine Zerrung waren es bisher gewesen. Deutlich spürbar war es gewesen, wie der Muskel auseinandergerissen war. Den Arm konnte er unmittelbar vor Schmerzen nicht mehr anheben. Vorsorglich nahm Lucas ca. zehn Minuten nach der Verletzung 800 mg Ibuprofen ein, um den Schmerz zeitnah zu lindern, sodass er dann abends völlig schmerzfrei in Ruhe war.

Es ging direkt in die Notaufnahme. Dort wurde er zunächst mit einer Schlinge zur Entlastung und mit Schmerzmitteln versorgt. Auch hier: Verdacht auf M. Pectoralis Major Ruptur rechts. Abends war die rechte Brust im Vergleich zur linken dann schon etwas größer - der Körper begann auf die Verletzung zu reagieren. Außerdem war nun eine minimale Einblutung am Brustmuskelansatz zu sehen - an der Innenseite des Oberarmknochens nahe der Schulter (medial-proximal des Humerus). 

Da Lucas in Ruhe keine Schmerzen hatte, konnte er in der ersten Nacht ganz gut schlafen. Bewegungen des Armes vermied Lucas, da er in der Abspreizung des Armes (Abduktion und Flexion) leichte Schmerzen bekam.  


Unsere Vermutungen zum Verletzungshergang:

Eine solche Verletzung passiert nicht "einfach mal so". Wir vermuten bei Lucas ein Zusammenspiel einiger Cofaktoren, die wir im Folgenden erläutern. Welcher Faktor wie viel Einfluss hatte werden wir wohl nie herausfinden. 

- Am Samstag vor der Verletzung (18.11.2023) nahm Lucas am Hyrox in Hamburg teil.

- Zuvor war er bereits wochenlang auf Diät gewesen, um für den Wettkampf im Weighted Calisthenics in die gemeldete Gewichtsklasse zu passen.

- Im Bereich der linken Brustmuskelsehne hatte er bereits einige Wochen vor dem Wettkampf Überlastungserscheinungen, die wir dann wieder in den Griff     bekamen - eventuell erfolgte über die rechte Seite trotzdem ein Ausgleich und somit hier eine Überbelastung.

- Wahrscheinlich mit der größte Faktor: durch sein jahrelanges Training im Powerlifting / Kraftdreikampf war Lucas bereits ein starker Bankdrücker (1 Rep Max     172,5 kg) mit einer sehr ausgeprägten und starken Brustmuskulatur. In seiner Karriere hatte er zuvor aber die Dips nie so intensiv trainiert wie in der     Vorbereitung für den Wettkampf, der nun folgen sollte. Somit ist er in relativ kurzer Zeit (Beginn mit Dips ca. im August 2023) sehr stark in der Übung     geworden, seine Strukturen könnten jedoch für diese Last noch nicht ausreichend angepasst gewesen sein.

kleine Einblutung am Oberarm
Rückzug des rechten Brustmuskels

Sabrina